LHC Status: Run III

Technologietransfer


Worin liegt nun der Nutzen des LHC-Projektes? Im Vordergrund steht vor allem die Grundlagenforschung. In der Grundlagenforschung geht es in erster Linie darum, neue Erkenntnisse über die Natur unseres Universums zu gewinnen. Ob sich daraus jemals neue Technologien entwickeln werden, lässt sich im Vorfeld meist nur schwer vorhergesagen. Als Albert Einstein vor über 100 Jahren seine Relativitätstheorie erarbeitete, konnte er sich bestimmt auch nicht im entferntesten ausmalen, dass seine Theorie einmal zur Verbesserung der Positionsbestimmung des GPS beitragen wird.
Oder wer konnte sich damals vorstellen, welcher technischer Nutzen aus der Quantentheorie hervorgehen würde, als Max Planck zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Grundlagen für diese Theorie legte. Kernenergie, Atomuhren, Solarzellen, Computer basierend auf Transistortechnologie, Laser etc., all dies wäre ohne Quantentheorie niemals entwickelt worden. Und ein Ende ist noch nicht abzusehen. Bereits existieren einfache Prototypen von Quantencomputern, welche auf einer völlig neuen Art des Rechnens basieren. Oder die noch junge Disziplin der Quantenkryptographie, die eine abhörsichere Informationsübertragung ermöglicht.

Welche neuen Theorien sich durch den LHC erhärten werden, wird sich in den kommenden 10 Jahren (voraussichtliche Betriebszeit des LHC's) zeigen. Und auch hier werden viele dieser Theorien für eine unbestimmte Zeit, reine Theorien ohne technischen Nutzen bleiben. Man darf jedenfalls gespannt sein, was sich daraus eines Tages technisch realisieren lässt.

Eine Vielzahl neuer Technologien entsteht aber auch schon während der Entwicklung eines solchen Grossprojekts. Als der LHC in den 80er Jahren geplant wurde, existierte beispielsweise die Fertigung von Hochpräzisions-Bauteilen wie sie für die Magnetstrukturen und Detektoren benötigt wurden, nur auf dem Papier. Erst durch jahrelange Forschung und durch die Zusammenarbeit verschiedenster Disziplinen, konnte die erforderliche Präzision erreicht werden. Oft arbeiten an den Entwicklungen für die Teilchenphysik auch Firmen mit, die neue Technologien in andere Bereiche übertragen und durch diese Innovationen neue Geschäftsfelder erschliessen.

Obwohl der LHC als reines Projekt der Grundlagenforschung gebaut wurde, ist der Nutzen des Techologietransfers schon heute kaum mehr überblickbar. Aus der Grundlagenforschung entwickeln sich neue Technologien, welche wiederum die Grundlagenforschung vorantreiben.



Internet


Die Grundlage für das World Wide Web (WWW) wurde Anfang der 90er am CERN entwickelt. Timothy J. Berners-Lee, der beim CERN als Informatiker tätig war, ist der Erfinder des HTML (Hypertext Markup Language) und somit der Begründer des World Wide Web. Da sich die Laboratorien des CERN sowohl auf französischem und auf schweizerischem Staatsgebiet befanden, kam es damals aufgrund unterschiedlicher Netzinfrastrukturen, oft zu grossen Problemen beim Informationsaustausch. Berners-Lee wollte mit dem HTML diese Probleme lösen. Und auch er ahnte damals nicht, dass er damit das Internetzeitalter einläutete.

Die weltweit erste Internetadresse lautete: http://info.cern.ch/hypertext/WWW/TheProject.html



Strahlungstherapie


Krebs kann dadurch bekämpft werden, indem der Tumor mit hochenergetischen Teilchen bestrahlt wird. Bisher wurden dazu vor allem Gammastrahlen oder hochenergetische Röntgenstrahlen eingesetzt. Inzwischen kommen aber schon die ersten Protonen- und Ionenbeschleuniger für medizinische Zwecke zum Einsatz. Der Vorteil dieser Technik liegt darin, dass die Strahlung nicht schon im umliegenden Gewebe abgegeben wird und dieses damit schädigt, sondern direkt im Tumor platziert werden kann. In vielen Krankenhäusern werden schon kleine Linearbeschleuniger, Betatrons und Zyklotrons zu medizinischen Zwecken eingesetzt. Durch Zyklotrone werden radiaktive Isotope hergestellt, welche zur Markierung von Wirkstoffen dienen, um beispielsweise die Stoffwechselwege oder den Abbau eines Medikaments in einem Organismus zu erforschen. Auch in diese Bereiche werden LHC Entwicklungen miteinfliessen.


Digitales Röntgen


Die Spurdetektoren von CMS oder ATLAS bestehen aus Halbleitern, welche aufgrund ihrer äusserst kleinen Strukturen eine extrem hohe Ortsauflösung besitzen. Eine gute Auflösung ist auch in bildgegebenden Verfahren in medizinischen Anwendungen wichtig. Die Technik aus der Teilchenphysik wurde daher mit herkömmlicher CMOS-Technologie vereinigt. Damit lassen sich einzelne Photonen im Pixel-Massstab auslesen, was zu einer sehr hohen Kontrast- und Ortsauflösung führt. Mit dieser sog. Medipix-Kamera werden Röntgenaufnahmen mit bisher unerreichter Auflösung möglich. Basierend auf dieser Technologie wurde an der Universität von Canterbury der MARS-Scanner (Medipix All Resolution System) entwickelt.


Medipix-Chip Quelle: CERN


MARS Scanner Quelle: CERN


Wiedergabe von MARS


PET - Positron Emissions Tomographie


Die Fertigung hochreiner Szintillatormaterialien wie sie für die LHC-Detektoren benötigt werden, kommt auch der Entwicklung der Positron Emissions Tomographie zugute. Dadurch werden noch bessere Auflösungen der PET möglich. Ausserdem sinken die Herstellungskosten von Szintillatorkristallen, durch die Fertigung im industriellen Massstab, beträchtlich.


3-dimensionale PET Aufnahme


Retina Projekt


In Zusammenarbeit mit Neurobiologen haben ATLAS-Physiker untersucht, wie das Auge Informationen zum Gehirn übermittelt. Die Retina wirkt dabei wie ein hoch entwickelter Pixeldetektor. Um die Koordinierung dieser natürlichen "Pixel" des Auges zu untersuchen, wurde lebendes Retinagewebe mit der Technologie der ATLAS-Siliziumstreifendetektoren kombiniert. Solche Experimente tragen zum Verständnis bei, wie unser Nervensystem Informationen verarbeitet und verschlüsselt. Dadurch könnten eines Tages künstliche Sehprothesen für Blinde hergestellt werden.


Retina-Chip basierend auf ALTAS-Technologie Quelle: CERN


Industrie


Auch in der Industrie werden Teilchenbeschleuniger häufig verwendet. Elektronenstrahlen dienen zur Polymerisation von Kunststoffen oder zur Sterilisierung von Lebensmitteln oder medizinischen Geräten. Schwerionenstrahlen werden zum Dotieren von Halbleiteroberflächen eingesetzt. Weitere Anwendungsgebiete liegen in der Werkstoffüberprüfung oder der Röntgenstrahl-Lithographie.

Um die Zusammensetzung von Fluorkohlenwasserstoffe zu überprüfen, die zur Kühlung der LHC-Detektorbestandteile dienen, wurde eine Ultraschall-Analysentechnik entwickelt. Das gleiche Verfahren wird jetzt in der industriellen Halbleiterproduktion dazu verwendet, den Anteil schwerer Elemente in der Gasphase zu regeln. Die Zusammensetzung der Gase kann dabei mit einer Präzision von einem in 100 000 Gasatomen bestimmt werden. In Ölraffinerien kommt diese Technologie zur Analyse von Kohlenwasserstoffen zum Einsatz.


Organische Feuchtigkeitssensoren


Da bei den Detektoren des LHC's eine sehr empfindliche Elektronik eingesetzt wird, muss auch die Luftfeuchtigkeit ständig kontrolliert werden. Wenn das Wasser kondensieren würde, kann das die Sensorik stören oder sogar beschädigen. Für die Kontrolle der Luftfeuchtigkeit innerhalb der Detektoren kommen deshalb unzählige Feuchtigkeitsensoren zum Einsatz. Bei diesen Sensoren handelt es sich um biologische Messfühler. Diese werden aus afrikanischen Geranien hergestellt, aus denen ein Gewebe extrahiert wird, das die Eigenschaft besitzt sich bei Änderung der Luftfeuchtigkeit zusammenzuziehen, bzw. auszudehnen. Um diese Bewegung zu registrieren wird ein Spannungsteiler eingesetzt, welcher an beiden Enden und mit dem winzigen Pflanzenstreifen verbunden ist. Wenn nun, nach Anlegen einer geringen Versorgungsspannung, die Spannungen der beiden von dem mittleren Kontakt getrennten "Widerstände" gemessen werden, kann daraus auf die relative Luftfeuchtigkeit geschlossen werden.


Zukunft des Internets


Die Leistung von Computerchips lässt sich nicht uneingeschränkt steigern. Das Ende des Moorschen "Gesetzes", nach dem sich die Anzahl an Transistoren pro Chipfläche alle 18 Monaten verdoppelt, ist jedenfalls schon abzusehen. Sobald die sich die Chiphersteller Strukturen nähern, deren Ausmasse nur noch atomare Grössenordnungen betragen, nehmen auch die Störungen durch quantenmechanische Effekte (z.B. Tunnelströme) zu. Dies stellt die letzte technische Grenze der Computerchiptechnologie dar, die nicht überschritten werden kann. Bevor diese Grenze allerdings überhaupt erreicht ist, wird man an eine wirtschaftliche Grenze stossen. Kleinere Strukturen wären zwar technisch möglich, aber der Aufwand dazu wäre nicht mehr wirtschaftlich tragbar. Ein Lichtblick könnte die Entwicklung von Quantencomputern sein, doch diese Technologie steckt zurzeit noch in den Kinderschuhen.

Ein Ausweg liegt vielleicht im GRID-Computing. Durch das WLCG wurde die Leistungsfähigkeit eines solchen Grids bereits eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Die Zukunft der PC-Anwendung könnte so aussehen, dass das Augenmerk nicht mehr auf die Leistungsfähigkeit eines einzelnen Computers gelegt wird, sondern auf die des verwendeten Grids. In Anbetracht der dichten Internetinfrastruktur und der hohen Anzahl an Computern auf dieser Welt, liegt darin der Schlüssel zu ungeahnter Rechenleistung. Die Welt würde zu einem einzigen grossen Supercomputer, dessen Leistung von jedem der einen Internetzugang besitzt genutzt werden könnte.


Die Welt als Supercomputer Quelle: CERN